BEZIRKSGRUPPE
Mittelhessen
Rechtstipp Juni 2025
Anspruch auf 366 Tage Urlaubsabgeltung?
LAG Hamm, Az.:13 SLa 22/24 vom 10.10.2024
- Zur Bedeutung von Mitwirkungspflichten und Kürzungserklärungen für Urlaubsansprüche bei Mutterschutz, Elternzeit und Arbeitsunfähigkeit -
Grundsatz
Urlaub ist im laufenden Kalenderjahr zu gewähren und zu nehmen, sonst kann er verfallen. Urlaubsansprüche entstehen auch in Zeiten des Beschäftigungsverbotes, des Mutterschutzes und der Elternzeit und während der Arbeitsunfähigkeit.
Entstehung des Urlaubsanspruches
Rechtsgrundlage für das Entstehen der Urlaubsansprüche bei Beschäftigungsverboten und Mutterschutzfristen ist § 24 Satz 1 MuSchG. Hiernach gelten die Ausfallzeiten wegen eines Beschäftigungsverbots für die Berechnung des Anspruchs auf bezahlten Erholungsurlaub als Beschäftigungszeiten.
Kürzungserklärung während der Elternzeit
Nach §17 Abs. 1 BEEG entsteht auch während der Elternzeit der Urlaubsanspruch uneingeschränkt. Der Arbeitgeber hat jedoch das Recht, den Urlaubsumfang für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit zu kürzen. Möchte der Arbeitgeber den Anspruch auf Erholungsurlaub nach § 17 Abs. 1 BEEG kürzen, muss er sein Kürzungsrecht ausüben. Dazu ist eine hierauf gerichtete rechtsgeschäftliche Erklärung erforderlich, die dem Arbeitnehmer zugehen muss. Hierfür genügt die Bewilligung der Elternzeit nicht. Diese genügt nur dann, wenn sie die ausdrückliche Erklärung enthält, dass während der Elternzeit der entstehende Urlaub entsprechend § 17 Abs. 1 BEEG gekürzt wird.
Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss
Für Mutterschutz und Beschäftigungsverbote gilt § 24 S. 2 MuSchG. Hiernach kann der Arbeitnehmer, den vor Beginn der Beschäftigungsverbote nicht oder nicht vollständig erhaltenen Erholungsurlaub auch noch nach Ablauf der Verbote im laufenden Kalenderjahr oder im Folgejahr nehmen. Dies ist dann das für den Zeitpunkt des Verfalls nach § 7 Abs. 3 BUrlG maßgebliche Urlaubsjahr.
Während der Elternzeit gehen die gesetzlichen Sonderregelungen in § 17 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BEEG den allgemeinen Befristungsregelungen des BUrlG vor. Hiernach verfällt der Urlaub während der Elternzeit nicht mit Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums (BAG, Urteil vom 19.03.2019 – 9 AZR 497/17 – Rn. 14), sondern ist gemäß § 17 Abs. 2 BEEG nach der Elternzeit im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr zu gewähren.
Diese Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss, gilt auch bei einer Mehrzahl von aufeinander folgenden Mutterschutzfristen und Elternzeiten. Beginnt eine weitere Elternzeit, bevor der Urlaub verfällt, so verfällt auch der gesamte, bis zu dieser weiteren Elternzeit nicht genommene Urlaub nicht. Er wird dem Urlaub, auf den der Arbeitnehmer nach seiner Rückkehr aus der Elternzeit im konkreten Urlaubsjahr Anspruch hat, hinzugerechnet. Dieser aus unterschiedlichen Urlaubsjahren herrührende Urlaub verfällt erst am Ende des Urlaubsjahres, wenn Übertragungsgründe vorliegen, am 31.03. des Folgejahres, bzw. 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums krankheitsbedingt arbeitsunfähig war.
Nach § 7 Abs. 3 BurlG verfällt der gesetzliche Mindesturlaub am Ende des Jahres für den er erworben worden ist, wenn keine Gründe in der Person des Arbeitnehmers oder betriebliche Gründe dem Entgegenstehen, und der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit ordnungsgemäß nachgekommen ist.
Die Mitwirkungsobliegenheit entstammt der Rechtsprechung des EuGH. Der EuGH hat entschieden, dass sich Arbeitgeber den gesetzlichen Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs nur berufen können, wenn sie ihre Arbeitnehmer zuvor rechtzeitig auf die Gefahr des Urlaubsverfalls hingewiesen und zur Urlaubnahme aufgefordert haben.
Dieser Rechtsprechung hat sich das BAG angeschlossen und verlangt ebenfalls die Erfüllung der Mitwirkung (vgl. Az. 9 AZR 278/16, 9 AZR 541/15)
Der Urlaub kann der gesetzlichen Verjährungsfrist von 3 Jahren (§§ 195, 199 BGB) unterliegen, die Verjährungsfrist beginnt jedoch erst am Ende des Kalenderjahres zu laufen, in dem der Arbeitgeber seine Mitwirkungs- und Hinweisobliegenheit umgesetzt hat. Hat also der Arbeitgeber die Arbeitnehmer nicht darauf hingewiesen, dass der Urlaub am Jahresende oder dem Übertragungszeitraum bei langdauernder Arbeitsunfähigkeit verfällt, kann der Urlaub nicht verfallen. Die Mitwirkungsobliegenheit trifft den Arbeitgeber aber nur, wenn der Urlaub auch tatsächlich realisiert werden kann. Daher besteht für Jahre in denen durchgängig Arbeitsunfähigkeit besteht keine Mitwirkungspflicht.
Genau mit diesen Fragen hatte sich das LAG Hamm in der Entscheidung 13 SLa 22/24 vom 10.10.2024 zu beschäftigen.
Zugrundeliegender Sachverhalt der Entscheidung
Die Klägerin war vom 1.Januar 2002 bis zum 31. Juli 2023 bei der Beklagten beschäftigt. Seit dem Jahr 2016 besteht ein Grad der Behinderung (GdB) von 50. In der Zeit vom 1.Januar 2011 und dem 17.September 2020, also mehr als 9 Jahre, erbrachte die Klägerin keine Arbeitsleistung aufgrund sich aneinander anschließender Schwangerschaften mit Beschäftigungsverbot, Mutterschutz und Elternzeiten.
Lediglich im Zeitraum 16. Januar 2017 bis 23. April 2017 erbrachte die Klägerin ihre Arbeitsleistung bei der Beklagten. In der Zeit vom 18. September 2020 bis zum 27. September 2020 arbeitete die Klägerin bzw. nahm Urlaub in Anspruch. Ab dem 28. September 2020 war die Klägerin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.Juli 2023 durchgehend arbeitsunfähig.
Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechnete die Beklagte 30 Tage Urlaub für das Jahr 2022 und 23 Tage Urlaub für das Jahr 2023 in Höhe von 13.470,77 € brutto ab. Die Klägerin forderte am 24. August 2023 weitere Urlaubsabgeltung für die Jahre 2011 bis 2023 für 366 Tage in Höhe von 88.041,23 € brutto.
Sie begründete den Anspruch damit, dass die Arbeitgeberin ihrer Mitwirkungsverpflichtung hinsichtlich des Urlaubs nicht nachgekommen sei. Zu keinem Zeitpunkt habe die Beklagte die Klägerin in den Jahren 2011 bis 2023 aufgefordert, den ihr zustehenden Urlaub oder Resturlaub zu nehmen. Während der Elternzeit sei auch keine Kürzung des Urlaubs erfolgt, da die Arbeitgeberin eine solche Kürzung nicht angezeigt habe – eine solche Kürzungserklärung hatte die Arbeitgeberin auch tatsächlich nicht abgegeben.
Die Beklagte hatte die Urlaubsansprüche aus 2022 und 2023 nach dem Urteil der ersten Instanz vollständig erfüllt, so dass noch über 323 Urlaubstage für die Jahre 2011 bis 2020 zu entscheiden waren.
Entscheidung des LAG Hamm
Da die Klägerin im Jahr 2021 durchgehend bis zur Beendigung am 31.Juli 2023 arbeitsunfähig war, und deshalb die Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers entfällt, ist der Urlaubsanspruch für die Jahre 2011 bis 2021 mit Ablauf des 31.03. 2023 größtenteils (325 Tage) verfallen. Urlaub, der wegen Krankheit nicht genommen werden kann, verfällt nach ständiger Rechtsprechung von EuGH und BAG spätestens 15 Monate nach der Entstehung, also in der Regel mit dem 31.03. des übernächsten Jahres.
In den Jahren 2011 bis 2020 hat die Klägerin einen Anspruch auf 300 Tage tariflichen Urlaub und ab 2016 zusätzlich einen Anspruch auf Schwerbehindertenurlaub in Höhe von 23 Tagen, also gesamt 323 Tage Urlaub erworben.
Das LAG Hamm stellt in seiner Entscheidung einmal mehr klar, dass die verschiedenen Beschäftigungsverbote, Mutterschutzfristen sowie Elternzeiten seit dem 1. Januar 2011 das Entstehen der Urlaubsansprüche nicht hindern. Der Urlaub war daher während des Beschäftigungsverbotes, dem Mutterschutz und der Elternzeit vollständig entstanden. Das LAG führt auch aus, da während der Dauer von Beschäftigungsverbot, Mutterschutz und Elternzeit der Urlaub aufgrund der Spezialregelungen der §§ 24 MuSchG und 17 BEEG nicht verfallen kann, besteht für die Dauer von Mutterschutz, Beschäftigungsverbot oder Elternzeit keine Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers.
Wörtlich heißt es als Begründung:
„Bestehen von Beginn eines Jahres an mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbote oder befindet sich eine Arbeitnehmerin während des gesamten Jahres in Elternzeit, so besteht, während dieser Zeiten schon keine Arbeitspflicht, von der der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin durch Gewährung von Urlaub befreien könnte. Ist eine Urlaubsgewährung nicht möglich, so wäre es sinnwidrig, eine Arbeitnehmerin zur Inanspruchnahme von Urlaub aufzufordern, der ihr aus rechtlichen Gründen nicht gewährt werden kann. Ohne die Möglichkeit einer Urlaubsgewährung, an die die Mitwirkungshandlungen anknüpft, kann die darauf ausgerichtete Obliegenheit nicht bestehen.“
Die Mitwirkungspflicht lebt erst nach Ablauf der letzten Elternzeit wieder auf.
Vorliegend war die Klägerin im maßgeblichen Urlaubsjahr 2021 durchgängig arbeitsunfähig bis zum 31.Juli 2023, so dass der Verfall eines Großteils des Urlaubsanspruches am 31.März 2023 eingetreten ist. Eine Mitwirkungsobliegenheit der Arbeitgeberin wurde abgelehnt da die Arbeitsunfähigkeit durchgängig war.
Lediglich in den Jahren 2017 und 2020 bestand die Mitwirkungsobliegenheit da die Klägerin in diesen Jahren wenige Tage gearbeitet hat. Dieser Mitwirkungspflicht ist die Arbeitgeberin nicht nachgekommen, so dass weitere 27 Urlaubstage in Höhe von 6.494,85 € brutto abzugelten waren.
Praxistipp
Die Entscheidung zeigt, wie wichtig es ist für die Elternzeit von Arbeitnehmern die Kürzung zu erklären. Hätte das Arbeitsverhältnis vor dem 31.März 2023 geendet, oder wäre die Arbeitnehmerin nicht durchgehend arbeitsunfähig gewesen, hätte die Arbeitgeberin, den für 9 Jahre Elternzeit angefallenen gesetzlichen Urlaub in Höhe von 225 Tagen abgelten oder gewähren müssen. Daher empfehlen wir bei Genehmigung von Elternzeit ausdrücklich die Kürzung des Urlaubs für die Dauer der Elternzeit zu erklären und auf den Verfall des Urlaubs hinzuweisen. Entsprechende Musterschreiben hierzu finden Sie – wie gewohnt - in unserem Serviceportal.