BEZIRKSGRUPPE

Mittelhessen

Rechtstipp Juni 2025

Erfolg vor dem Verwaltungsgericht: Zustimmung zur Kündigung eines schwerbehinderten Schwerbehindertenvertreters (zugleich Betriebsratsmitglied) muss erteilt werden

Die Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern erfordert nach § 168 SGB IX stets die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes zu der beabsichtigten Kündigung. Diese Hürde ist nicht immer einfach zu nehmen. Im Falle unseres Mitgliedsunternehmens kommt erschwerend hinzu, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer zugleich der Schwerbehindertenvertreter und Mitglied des Betriebsrates ist. Dennoch haben wir für unser Mitgliedsunternehmen vor dem Verwaltungsgericht Gießen einen Erfolg errungen.

Unser Mitgliedsunternehmen beabsichtigt dem Schwerbehindertenvertreter (im Folgenden „SBV“) außerordentlich fristlos wegen Arbeitszeitbetruges zu kündigen (Tatkündigung zzgl. hilfsweiser Verdachtskündigung). Der SBV hatte sich für zwei Tage bei seinem Vorgesetzten abgemeldet mit der Behauptung, er habe eine konkrete Aufgabe als SBV zu erledigen. Sodann stellte sich diese Behauptung aus Sicht des Mitgliedsunternehmens als Lüge heraus. Auf die Frage, welche Tätigkeiten er stattdessen als SBV während der Dauer von zwei Arbeitstagen nachgegangen sei, wurde eine dem Augenschein nach aus dem Internet kopierte Ausarbeitung vorgelegt und fadenscheinige Ausführungen seitens des SBV getätigt. Der SBV wurde ordnungsgemäß zu dem Verdacht des Arbeitszeitbetruges angehört und hat keinerlei Stellungnahme abgegeben. Sowohl der stellvertretende SBV als auch der Betriebsrat haben der beabsichtigten Kündigung zugestimmt.

Das Integrationsamt hat die Zustimmung zur Kündigung versagt, obwohl der Kündigungsgrund offensichtlich nicht mit der Schwerbehinderung in Zusammenhang steht. Gegen diese Versagung haben wir für unser Mitgliedsunternehmen Widerspruch eingelegt. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen. Das Integrationsamt begründet seine Verweigerung der Zustimmung damit, dass es zu einer Evidenzkontrolle befugt sei und im Rahmen dieser Evidenzkontrolle zu dem Schluss gelange, dass die beabsichtigte Kündigung arbeitsrechtlich offensichtlich unwirksam wäre. Dies stützt das Integrationsamt maßgeblich darauf, dass die Lüge hinsichtlich der zu erledigenden Aufgabe den Kündigungsgrund nicht tragen könne, da eine Schwerbehindertenvertretung grundsätzlich nicht verpflichtet sei konkret auszuführen für welche Aufgaben sie sich abmelde. Darüber hinaus hat das Integrationsamt rechtliche Würdigungen bezüglich des Sachverhalts sowie Einschätzungen hinsichtlich der Tauglichkeit von Beweismitteln vorgenommen. Da wir die Entscheidung des Integrationsamtes für rechtswidrig erachten, haben wir für das Mitgliedsunternehmen bei dem Verwaltungsgericht eine Verpflichtungsklage gegen das Integrationsamt erhoben. Nach unserer rechtlichen Bewertung ist das Integrationsamt entgegen der Rechtsprechung des hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss v. 24. Januar 2022 – 10 A 2619/10.Z) nicht befugt eine Evidenzkontrolle durchzuführen. Selbst wenn man eine solche Befugnis unterstellen wollte, sind die Grenzen einer solchen Evidenzkontrolle jedoch überschritten, wenn das Integrationsamt rechtliche Bewertungen vornimmt, die allein in der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte liegen und darüber hinaus das Ergebnis von Beweiswürdigungen vorweg nimmt, die ebenfalls das Arbeitsgericht vornehmen müsste. Dem schwerbehinderten Arbeitnehmer wird damit ein zusätzlicher Kündigungsschutz gewährt, der über denjenigen Kündigungsschutz hinausgeht, der auch einem nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer zukommt. Das Verwaltungsgericht Gießen hat zwar die rechtlich interessante Frage nach der Befugnis einer Evidenzkontrolle offen gelassen, ist jedoch im Übrigen unserer Argumentation gefolgt. Dementsprechend ist nunmehr das Integrationsamt erstinstanzlich verpflichtet die Zustimmung zu der beabsichtigten Kündigung zu erteilen. Das Urteil muss noch in Rechtskraft erwachsen.

Unser Fazit: Auch wenn der Weg bis zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers langwierig und schwierig ist, lohnt es sich, ihn zu gehen – mit uns an Ihrer Seite.

RAin Isabelle Crass

Leiterin Recht | Syndikusrechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

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