BEZIRKSGRUPPE
Mittelhessen
Rechtstipp August 2023
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Leistungsbeurteilung und Abmahnung (?) !
Um es gleich vorwegzunehmen: Bei der Leistungsbeurteilung und der Abmahnung von schwerbehinderten und diesen gleichgestellten Arbeitnehmern müssen Sie die Schwerbehindertenvertretung (im Folgenden „SBV“) nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX beteiligen.
Denn in beiden Fällen liegt nicht nur eine Angelegenheit vor, die „einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren“, sondern auch eine einseitige Entscheidung des Arbeitgebers in dieser Angelegenheit.
Was müssen Sie für eine ordnungsgemäße Beteiligung der SBV tun?
1. Die SBV unverzüglich und umfassend unterrichten
2. Die SBV vor der Entscheidung anhören
3. Der SBV die getroffene Entscheidung unverzüglich mitteilen
Unterrichten heißt, Sie müssen die SBV so umfangreich über die Angelegenheit informieren, dass sie ohne Rückfragen ihre Aufgaben wahrnehmen kann. Das bedeutet, dass Sie alle Tatsachen und Erwägungen mitteilen müssen, die Sie als Arbeitgeber bereits treffen. Unverzüglich ist die Unterrichtung, wenn sie ohne schuldhaftes Zögern erfolgt.
Mit der Anhörung soll der SBV die Möglichkeit gegeben werden, auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken. Daher müssen Sie der SBV nach der Unterrichtung eine Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Hierfür sollten Sie ihr eine angemessene Frist setzen. Das Gesetz sieht zwar weder eine Form, noch eine strenge Frist für diese Anhörung vor. Um später den Nachweis führen zu können, sollte sie jedoch schriftlich erfolgen. In Anlehnung an die Rechtsprechung des BAG, das bei einer Anhörung der SBV vor dem Ausspruch der Kündigung auf die einwöchige Frist des § 102 Abs. 2 BetrVG abstellt, empfehlen wir grundsätzlich die Frist mit einer Woche zu bemessen. Im Einzelfall kann jedoch auch eine kürzere Frist geboten sein.
Die Stellungnahme der SBV müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Die SBV hat jedoch kein echtes Mitbestimmungs- oder gar Vetorecht.
Schließlich müssen Sie der SBV unverzüglich, das heißt wiederum ohne schuldhaftes Zögern mitteilen, welche Entscheidung Sie letztlich getroffen haben.
Was bedeutet das konkret für den Fall der Leistungsbeurteilung?
Für die Leistungsbeurteilung kann dies in Anlehnung an die Entscheidung des BAG vom 24. Februar 2021 (7 ABR 9/20) zur Leistungsbeurteilung nach § 10 ERA-TV der nordrhein-westfälischen Metall- und Elektroindustrie wie folgt beantwortet werden:
Sie müssen die SBV vor der (schriftlichen) Mitteilung und Erläuterung der ERA-Leistungsbeurteilung gegenüber schwerbehinderten und diesen gleichgestellten Arbeitnehmern unterrichten über die erfolgte Beurteilung und die dieser zugrunde liegenden Erwägungen und ihr unter Fristsetzung die Möglichkeit geben, hierzu eine Stellungnahme abzugeben. Nicht erforderlich ist, dass Sie die SBV bereits früher einbeziehen und daher z.B. an dem Beurteilungsprozess selbst teilhaben lassen. Das BAG führte hierzu in der zitierten Entscheidung aus, es bestehe kein Interesse der SBV an einer noch früheren Beteiligung bereits im Vorfeld einer konkret festgelegten Beurteilung oder erfolgten Berechnung der Leistungszulage.
Es ist außerdem nicht erforderlich, dass Sie die SBV – in Anlehnung an die Beteiligung im Bewerbungsverfahren – auch hinsichtlich der Leistungsbeurteilung von nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern beteiligen. Für eine solche Pflicht lassen sich keinerlei Anhaltspunkte in der bisher ersichtlichen Rechtsprechung erkennen.
Die Mitteilung Ihrer finalen Entscheidung bzgl. der Leistungsbeurteilung und der sich hieraus ergebenden Leistungszulage gegenüber der SBV muss nach dem Gesetz wieder unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern erfolgen. Dies wird regelmäßig ebenfalls vor der Mitteilung und Erörterung gegenüber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer sein. Jedoch ist dies nicht zwingend.
Welche Rechtsfolge droht, wenn Sie die SBV nicht ordnungsgemäß beteiligen?
Wenn Sie die SBV nicht ordnungsgemäß beteiligen, ist die Vollziehung der getroffenen Entscheidung auszusetzen und die Beteiligung innerhalb von 7 Tagen nachzuholen (§ 178 Abs. 2 S. 2 SGB IX).
Die Aussetzungswirkung ist nicht von einem Antrag der SBV oder des schwerbehinderten Arbeitnehmers abhängig. Sie tritt automatisch kraft Gesetzes ein und stellt ein vorläufiges Vollzugsverbot dar. Und anders als der Gesetzeswortlaut vermuten lässt, wirkt das Verbot nicht nur 7 Tage, sondern solange, bis die ordnungsgemäße Beteiligung nachgeholt wurde.
Solange die neue Leistungszulage noch nicht zur Anwendung gelangt ist, kann die SBV gerichtlich die Aussetzung der Umsetzung der neuen Leistungszulage gerichtlich durchsetzen, ggf. auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Ist die neue Leistungszulage bereits zur Anwendung gelangt, geht die Aussetzung ins Leere. Da es sich bei der Anwendung der neuen Leistungszulage allerdings um eine monatlich wiederkehrende Umsetzung der getroffenen Entscheidung handelt, kann die SBV für alle zukünftigen Monate wiederum gerichtlich die Aussetzung durchsetzen.
Hinzu kommt, dass die nicht ordnungsgemäße Beteiligung der SBV ein Indiz für eine Benachteiligung von schwerbehinderten Arbeitnehmern im Sinne des § 22 AGG darstellt mit der Folge, dass hier eine Beweislastumkehr zu Ihren Lasten eintritt. Sofern Sie die Vermutungswirkung der Benachteiligung nicht widerlegen können, hat der betroffene schwerbehinderte Arbeitnehmer einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG. Dieser kann in der Geltendmachung der Differenz zwischen der bisherigen (höheren) und der neuen (niedrigeren) Leistungszulage bestehen, denn diese neue Leistungszulage hätte ohne die ordnungsgemäße Beteiligung der SBV aufgrund des gesetzlich normierten Vollzugsverbots nicht zur Anwendung gelangen dürfen.
Was bedeutet das konkret für den Fall der Abmahnung?
Eine mit der Entscheidung des BAG bzgl. der Leistungsbeurteilung vergleichbare, höchstrichterliche Rechtsprechung für die Abmahnung liegt – soweit ersichtlich – noch nicht vor. Gleichwohl lassen sich einige Grundsätze aus den bisherigen Entscheidungen des BAG ableiten, die auf die Abmahnung übertragen werden können:
Sie müssen die SBV vor Ausspruch einer Abmahnung vollumfänglich, das heißt über alle Ihnen bekannte Tatsachen informieren. Eine Reduzierung auf schwerbehindertenspezifische Abmahnungsbezüge reicht nicht aus. Die Unterrichtung hat unverzüglich zu erfolgen. Nach unserer Überzeugung ist dies auch dann noch der Fall, wenn Sie die SBV erst nach einer etwaigen Anhörung des Arbeitnehmers informieren. Denn die Einlassung des Arbeitnehmers selbst ist Teil der Sachverhaltsaufklärung und stellt einen Umstand dar, über den Sie die SBV informieren müssen. Darüber hinaus bleibt der SBV zu diesem Zeitpunkt weiterhin die Möglichkeit, auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss nehmen zu können. Wichtig ist jedoch, dass Sie nicht unmittelbar nach der Anhörung des Arbeitnehmers eine Entscheidung über den Ausspruch der Abmahnung treffen, sondern zuvor auch die SBV anhören, ihr also unter Fristsetzung die Möglichkeit zur Stellungnahme geben.
Schließlich ist die finale Entscheidung auch im Fall der Abmahnung der SBV unverzüglich mitzuteilen. Dies wird ebenfalls regelmäßig vor dem Ausspruch der Abmahnung gegenüber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer der Fall sein.
Welche Rechtsfolgen drohen bei einer fehlenden Beteiligung im Fall der Abmahnung?
Spricht der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer gegenüber eine Abmahnung aus, ohne die SBV zuvor ordnungsgemäß beteiligt zu haben, scheidet eine Aussetzung aus, denn eine bereits vollzogene Maßnahme kann nicht mehr ausgesetzt werden.
Der Arbeitnehmer kann jedoch die Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte verlangen. Dieser Entfernungsanspruch leitet sich ebenfalls aus § 15 Abs. 1 AGG ab. Hiernach ist dem schwerbehinderten Arbeitnehmer der durch die Benachteiligung entstandene Schaden zu ersetzen. Der Arbeitgeber hat nach § 249 Abs. 1 BGB den Zustand wieder herzustellen, der ohne die Benachteiligung bestehen würde. Im Falle einer Abmahnung bedeutet dies die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte.
Die Abmahnung darf nur dann in der Personalakte verbleiben, wenn der Arbeitnehmer nicht wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt wurde. Jedoch gilt auch im Falle der Abmahnung die Beweislastumkehr des § 22 AGG. Damit hat der Arbeitgeber zu beweisen, dass er den schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht benachteiligt hat. Dem schwerbehinderten Arbeitnehmer steht somit eine zusätzliche Möglichkeit zur Verfügung, die Abmahnung – gegebenenfalls auch erst im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses – anzugreifen. Das bedeutet, dass Ihnen die Abmahnung im Kündigungsschutzprozess gänzlich wegbrechen und die Kündigung daher wegen Unverhältnismäßigkeit unwirksam sein kann.
FAZIT:
Das Beteiligungsrecht der SBV ist zwar gesetzlich nicht so stark ausgestaltet wie das des Betriebsrates. Gleichwohl kann die fehlerhafte Beteiligung der SBV weitreichende Folgen für den Arbeitgeber haben bis hin zu Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers und zum Wegfall von Abmahnungen im Kündigungsschutzprozess.