Arbeitswissenschaftliches Forum

Ein, zwei oder drei? Sogar vier, fünf und noch mehr? Wer wie die Teilnehmer des 12. Arbeitswissenschaftlichen Forums in Mainz einen Jongleur auf der Bühne erlebt, ist schnell beeindruckt davon, mit welcher Leichtigkeit da die Bälle in der Luft gehalten werden.

Wie man das packt, zeigte der Bühnenkünstler Christoph Rummel. Zur Auflockerung motivierte er alle Gäste, es selbst einmal mit drei Ledersäckchen auszuprobieren. Denn das „Bälle-in-der-Luft-Halten“ ist für die Personalprofis – im übertragenen Sinn – schon lange Tagesgeschäft. Und es gelingt viel besser, wenn man gemeinsam trainiert und Wissen und Erfahrungen austauscht, waren sich die Teilnehmer einig.

Rund 150 Vertreter von Metall- und Elektro-Unternehmen aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland waren auf Einladung der Verbände der Metall- und Elektro-Industrie der Mittelgruppe am 12. Juli in die Alte Lokhalle Mainz gekommen für den Austausch von Wissenschaft und Praxis. Gemeinsam voneinander lernen war die Devise.

Denn die Herausforderungen sind enorm in der Arbeitswelt in 4D. Die D’s stehen für die großen Themenfelder Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung sowie Deglobalisierung. Wie man unter dem Druck der sich daraus ableitenden Herausforderungen noch den Überblick behält und dennoch auch Chancen erkennt, war Inhalt der Vorträge und Gespräche.

Dr. Hans-Peter Klös, Geschäftsführer und Leiter Wissenschaft am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, erläuterte, unter welchen Rahmenbedingungen sich die Arbeitswelt in Deutschland verändert hat: „Die Welt durchlebt multiple Krisen, von Corona über den Strukturwandel bis zum Ukraine-Krieg, und in dieser Zeit werden die Herausforderungen, vor denen Wirtschaft und Gesellschaft stehen, sehr sichtbar.“

Digitalisierung, Dekarbonisierung, Demografie und die durch die Ukraine-Krise verschärfte Deglobalisierung lösten in der Summe einen beträchtlichen Transformationsbedarf aus. Gleichzeitig sei die Digitalisierung aber auch Treiber der anderen drei D’s.

Trotz aller Probleme wird Deutschland die Arbeit nicht ausgehen. Entgegen allen Prognosen habe die Wirtschaft aktuell einen Höchststand an Beschäftigung erreicht. Der Arbeitsmarkt werde sich zu einem Arbeitnehmerarbeitsmarkt entwickeln. „Schon jetzt gehen Unternehmen verstärkt in den Wettbewerb um Arbeitskräfte“, so der Wissenschaftler.

Hinsichtlich der Arbeitsmarktordnung ist eine deutlich stärkere Orientierung auf zentrale technologische Trends sowie auf veränderte Anforderungen an die Arbeitsorganisation erforderlich. Dies betrifft Arbeitszeiten, Arbeitsorte, Arbeitsformen und Arbeitsinhalte. Die Palette an Maßnahmen zur internen, externen und räumlichen Flexibilisierung wird durch die Digitalisierung breiter, mit Blick auf Mitarbeiter-Bindung und -Gewinnung aber auch erfolgskritischer.

Weiterbildung wird laut Klös eine noch größere Bedeutung zukommen, damit Unternehmen schneller auf neue Bedarfe reagieren können. Digitale Fähigkeiten sind ebenso neue Schlüsselkompetenzen wie Problemlösefähigkeit, Kreativität, Initiative und Empathie.

Zu einem Lösungsanbieter hat sich Siemens im Zuge der Digitalisierung entwickelt. Der Konzern nutzt alles, was technologisch machbar ist und bietet Kunden sogar die digitale Plattform Xcelerator, um bei deren digitaler Transformation zu unterstützen.

Am Frankfurter Flughafen errichtet Siemens gerade einen eigenen, smarten Bürokomplex für flexible Arbeitswelten, der sogar die individuellen Bedürfnisse der Nutzer berücksichtigt. Klare Hierarchien, feste Arbeitszeiten im Büro und vorgegebene Prozesse sind nach Aussage von Personalleiter Rainer Welzel Relikte einer überkommenen Arbeitswelt. „Arbeit sollte da stattfinden, wo sie am besten erledigt werden kann“, so Welzel.

Annika Roth, Geschäftsführerin der Blechwarenfabrik Limburg (400 Beschäftigte), berichtete vom digitalen Umbau des Betriebes im Zuge eines Neubaus. Die neue Fabrik ist energetisch auf dem modernsten Stand. Energieflüsse wurden reduziert, Strom, Gas und Druckluft optimiert, Heizung und Kühlung ausschließlich aus Prozesswärme gespeist. Bei der Produktion hat man auf umfassende Digitalisierung gesetzt, was die Arbeitswelt stark veränderte. Nicht nur reden, sondern einfach anfangen Roth: „Wir haben keine Einzelprozesse mehr, die gesamte Fabrik ist jetzt sozusagen ein großer Prozess.“ Transparenz im gesamten Prozess sorgte für Effizienz im Betrieb sowie Verständnis und Motivation. Roth: „Transparenz war ein wichtiger Faktor für den Erfolg des Großprojekts, denn die Menschen fühlten sich eingebunden und verstanden.“

Über die „Erfolgskomponente“ Mitarbeiter beim Wandel einer traditionell organisierten Logistik zu einer selbststeuernden, zukunfts- und kundenorientierten Industrielogistik informierte Christian Pflüger, Leitung Global Logistics HUB Europe West bei der Festo SE & Co. KG in Sankt Ingbert-Rohrbach. Festo zählt weltweit 20.000 Beschäftigte. Im Werk Rohrbach hat Festo seit 2019 die Organisationsstruktur in der Logistik umgestellt. Vor allem wurde eine Dock-to-Dock-Verantwortung eingeführt, bei der alle Beschäftigten in den Gesamtprozess vom Eingang bis zur Übergabe an die nächste Station eingebunden sind. Zudem wurden viele Prozesse, wie die LKW-Steuerung, digitalisiert.

Das Projekt soll Blaupause für weitere Veränderungsprozesse im Konzern sein. Wie Pflüger betonte, stehen Unternehmen immer wieder wie Festo vor der Herausforderung, Prozesse neu zu ordnen. Abläufe müssten angepasst und effizienter gemacht und Verantwortlichkeiten neu definiert werden. All das habe keinen Sinn, wenn die Menschen im Unternehmen nicht ausreichend eingebunden werden. „All die Management-Instrumente wie Dock-to-Dock-Verantwortung oder Eskalations-Kaskaden, die wir eingeführt haben, funktionieren nur, wenn wir uns intensiv mit den Menschen beschäftigen und mit ihnen reden“, betonte Pflüger. Für ihn steht fest: „Wir Manager sind, was das Gelingen angeht, die unwichtigsten Personen im Prozess.“ Sein Tipp: Zielbilder klar definieren, Orientierung geben. Eine „Trau-dich-Kultur“ entwickeln, die auch Fehler zulässt und nicht zuletzt: Erfolge sichtbar machen und auch feiern.

 

Nikolaus Schade

Leiter Arbeitswissenschaft

Claus Bosen

Arbeitswissenschaft

Udo Schwab

Arbeitswissenschaft

Sven Rauh

Arbeitswissenschaft

Auch General Dynamics European Land Systems (GDELS) Bridge Systems in Kaiserslautern, Weltmarktführer in militärischen Brückensystemen mit rund 400 Beschäftigten, setzt bei der Modernisierung des Unternehmens auf die Belegschaft. Die eigens geschaffene Digitalisierungs-Gruppe „Diggy-Group“ agiert unabhängig der vorhandenen Hierarchien.

Wie Simone Scholl, KVP-Verantwortliche und auch Chefin der Diggy-Group erläuterte, wurden die Mitglieder nicht ausgewählt, sondern sie mussten sich auf die Plätze im Team in einem eigenen Verfahren bewerben. Aus allen Abteilungen und Bereichen wurden dann Vorschläge zur Digitalisierung gesammelt, ausgewählt, in Projekte gewandelt und schließlich umgesetzt. Bei all dem wurde abteilungsübergreifend gearbeitet, der wirtschaftliche Aspekt aber nie außer Acht gelassen. So wurde unter anderem zur besseren Personalplanung die SAP-FIORI-APPS eingeführt oder auch Smartphones und Tablet-Computer für die Mitarbeiter angeschafft, um die Infrastruktur zu verbessern. In der Lackiererei wurde zur Qualitätssicherung eine digitale Schichtdicke-Messung und -Dokumentation eingeführt.

Und in der Entwicklungsabteilung sind inzwischen AR-Brillen Standard, um auch im virtuellen Raum zu arbeiten, Fehler zu finden und Verbesserungen anzustoßen, ehe ein neues Gerät produziert wird. Sogar ein virtuelles Testgelände wurde angelegt, 1:1 dem realen Gelände nachempfunden, in dem auch Kunden vor der Inbetriebnahme etwa die Errichtung einer Pontonbrücke über ein Gewässer üben können. Ihr Fazit: „Digitalisierung bedeutet vor allem, nicht nur darüber zu reden, sondern einfach damit anzufangen, nehmt die Mitarbeiter mit auf die Reise und habt auch Spaß.“

Bilder vom AW Forum

VortrÄGE

Dr. Hans-Peter Klös, Geschäftsführer und Leiter Wissenschaft, IW Köln

Deutschland in 4D - Wie sich die Arbeitswelt verändert

Dr. habil. Birgit Verworn, Referatsleitung Strategie und Zukunft der Arbeit, BDA

Digitalisierung im Personalmanagement - was möglich ist und was gar nicht geht

Annika Roth, Geschäftsführerin, Blechwarenfabrik Limburg GmbH

Eine Dosenproduktion wie von einem anderen Stern

Christian Pflüger, Leitung Global Logistics HUB Europe West, Festo SE & Co. KG

Digitalisierung beginnt mit Umdenken - vom analogen Mindset zur Digital Workforce in der operativen Logistik

Simone Scholl, Head of Continuous Improvement, GDELS Bridge System GmbH

Brücken bauen leicht gemacht - von analog zu digital