Liebe tarifgebundene Mitglieder! Liebe an der Tarifrunde interessierte Mitglieder ohne Tarifbindung!
Unsere Broschüre zur Vorfeldkommunikation vor der letzten Tarifrunde 2021 hatten wir mit dem Titel „Zupackend raus aus dem Tunnel!“ überschrieben. Damals wollten wir ein möglichst realistisches und griffiges Bild der wirtschaftlichen Lage zeichnen. Diese war geprägt von einem seit dem 2. Weltkrieg nicht dagewesenen Einbruch der Wirtschaftsleistung nach der Rezession in 2019 und den dramatischen Folgen der Corona-Pandemie, die Deutschland im Januar 2020 erreicht hatte. Gleichwohl bestand zum damaligen Zeitpunkt die berechtigte Hoffnung, dass ein sicherlich beschwerlich zu begehender Weg dann aber doch zeitlich absehbar uns wieder auf ein vor Beginn der Krise in 2018 schon einmal erreichtes Niveau zurückführen würde – und danach in neue Höhen. Wer hätte seinerzeit gedacht, dass dieser Weg durch den Tunnel noch viel länger dauern wird, und gleichzeitig noch beschwerlicher zu begehen und noch weniger klar vorhersehbar werden würde. So können wir die Corona-Pandemie nicht so schnell hinter uns lassen, wie wir uns das damals gewünscht und vorgestellt haben. Das teilweise chaotische Kompetenzgerangel von Bund und Ländern mit der Folge einer nicht immer adäquaten Antwort auf die jeweilige Lage des Infektionsgeschehens und eine unerwartete Impfunwilligkeit doch weiter Teile der Bevölkerung haben uns mehr Corona-Wellen mit deutlicheren Einschränkungen beschert, als wir das Ende 2020 erwartet hatten. Aufgrund von lokalen Corona-Ausbrüchen kam es immer wieder zur Schließung wichtiger Seehäfen in China und andernorts in Asien. Die ohnehin schon brüchig gewordenen Lieferketten sind dadurch für viele Produkte, Materialien und Rohstoffe noch brüchiger geworden und zumindest zeitweise gänzlich gerissen.
Dies führte dazu, dass in einer sich ohnehin nur langsam erholenden Wirtschaft vielfach vorhandene Aufträge nicht bearbeitet und in eine Produktion umgesetzt werden konnten und können. Ein hoher Auftragsbestand ist in einer solchen Situation eher Fluch als Segen, da aufgrund der extremen Preissteigerungen der Zulieferungen eine entsprechende Preiserhöhung bei den Abnehmern oft nicht durchsetzbar ist. Diese sich im letzten Quartal des vergangenen Jahres und zu Anfang dieses Jahres bereits abzeichnende Entwicklung hat sich mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine am 24. Februar 2022 noch einmal dramatisch verschärft. Vor allen Dingen die Unsicherheit über die weitere Entwicklung ist groß wie nie, viele Branchen wagen schon gar keine Prognose mehr zu ihrer Entwicklung in der mittelfristigen Zukunft. Auch wenn diese Themen gegenwärtig im Fokus stehen, dürfen wir die Zukunft unseres Planeten nicht aus dem Blick verlieren. Der Klimaschutz und die Erreichung der in Paris vereinbarten Klimaziele bedeuten für alle Unternehmen eine erhebliche Herausforderung. So gleicht der Weg hin zu schon einmal erreichter Stärke eher einem Aufstieg aus einem tiefen Tal auf einen hohen Berg, auf den hinauf es mehrere Routen mit Schwierigkeitsgraden von mittelschwer bis extrem-schwer gibt, wir aber noch nicht genau wissen, welche der Routen begehbar sein wird. Der Rucksack ist durch die geschilderten Belastungen noch deutlich schwerer geworden. Aber es ist ein ganz neuer Berg, den wir zusammen erklimmen und an dessen Spitze wir gelangen müssen, wenn wir unser Wohlstandsniveau absichern wollen. Und dieser neue Berg befindet sich in einem ganz neuen Terrain, in dem unsere bisherigen Spitzenpositionen keinen Erfolg mehr garantieren, sondern viele konkurrierende Bergsteigergruppen mit teilweise ganz anderen Ansätzen uns zu überholen und abzuhängen drohen. Denn es gilt, die eigentliche, weil – anders als Corona und Ukraine-Krieg – dauerhaft wirkende und damit wichtigste Herausforderung nicht aus dem Blick zu verlieren, nämlich die Bewältigung des Strukturwandels. Wir müssen – zeitgleich mit der Aufholjagd zur Erreichung des Vorkrisenniveaus - die Gestaltung unserer Zukunft in Angriff nehmen. Dies setzt für die Breite der M+E-Industrie erhebliche Investitionen voraus, z. B. in Automatisierung, Digitalisierung oder auch im besonderen Maße in einzelnen Branchen wie z. B. im Automotive-Bereich durch die Veränderungen bei den Antriebstechnologien. Wir haben vor der letzten Tarifrunde unsere Positionierung damit begründet, dass wir zur Bewältigung des Strukturwandels neben dem Know-how der Beschäftigten und passenden Fachkräften auch erhebliche finanzielle Mittel für erforderliche Investitionen benötigen. Wir haben damit für eine Lohnzurückhaltung geworben, denn schließlich kann jeder erwirtschaftete Euro nur einmal ausgegeben werden. Diese Positionierung ist nach wie vor – auch angesichts aktuell hoher Inflationsraten – richtig. Sie als Arbeitgeber setzen, wie schon in den letzten Jahren alles daran, Arbeit auch unter Pandemiebedingungen möglich zu machen und so viel Beschäftigung wie möglich zu halten. Unsere Unternehmen haben viel in den Arbeitsschutz und den Schutz ihrer Beschäftigten vor einer Infektion am Arbeitsplatz investiert. Sie haben, wo immer praktikabel, Arbeiten im Homeoffice ermöglicht, wohlwissend, dass bei gleichzeitiger Schließung von Kindertagesstätten und Schulen ein normales Arbeiten „zu den Betriebsöffnungszeiten“ vielfach nicht möglich sein würde.
Diese Beschäftigungssicherung hat unsere Unternehmen stark belastet und die für die Bewältigung des Strukturwandels erforderlichen Finanzmittel reduziert. Wir brauchen aber diesen finanziellen Spielraum in den nächsten Monaten und Jahren, gerade um aus dieser ungewöhnlich lange andauernden Krisenzeit herauszukommen und mit neu gewonnener Stärke zu neuen Gipfeln durchzustarten. Durch die Corona-Krise mit den vielen Lockdowns und Schließungen mussten die Tarifvertragsparteien kurzfristig Flexibilität bei den Themen und Handlungsfähigkeit im gemeinsamen Vorgehen beweisen. Dies ist unseres Erachtens mit den beiden schnellen und jeweils situationsgerechten Tarifabschlüssen im März 2020 und im März 2021 gelungen. Wir haben die Kostensteigerungen im Rahmen gehalten und unseren Mitgliedsunternehmen sinnvolle Kriseninstrumente an die Hand gegeben.
Gleichwohl haben die Beschäftigten der Situation angemessene Tariferhöhungen bekommen. Die Herausforderungen zur Bewältigung des Strukturwandels sind während der Krisen aber nicht entfallen. Es ist im gemeinsamen Interesse von Beschäftigten und Betrieben, dass die Betriebe die dazu erforderlichen ganz erheblichen Investitionen stemmen können. Denn diese Investitionen sind Investitionen in die Zukunft der Beschäftigten und die Sicherung ihrer Arbeitsplätze. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass unsere Beschäftigten insgesamt sehr gut verdienen und eine Zurückhaltung bei neuerlichen Lohnsteigerungen angesichts der sehr starken Tariferhöhungen zwischen 2010 und 2018 bei damals sehr niedrigen Inflationsraten durchaus zu verkraften ist. Viele sind auch bereit dazu, da sie damit ihren Arbeitsplatz sichern helfen. Da eine schnelle Rückkehr zum Vorkrisenniveau für viele Unternehmen derzeit nicht in Sicht ist, brauchen Sie, unsere Metall- und Elektro-Unternehmen, in den kommenden Monaten auch Unterstützung durch die Politik. Neben den staatlichen Corona-Hilfen wie den Erleichterungen beim Kurzarbeitergeld sind dies vor allen Dingen auch nachhaltige steuerliche Entlastungen, insbesondere bei der Energie. Zusatzbelastungen unserer Metall- und Elektro-Unternehmen durch die Politik gleich mit welcher Zielrichtung, die allesamt zumindest einen höheren Administrationsaufwand und damit Kosten mit sich bringen, verbieten sich.
76 Dies gilt insbesondere angesichts des Umstandes, dass die Politik von den Arbeitgebern in der Corona-Krise mit stark gesteigerten Anforderungen beim Arbeitsschutz bis hin zu Kontrollpflichten für den immunologischen Status der Beschäftigten vor Betreten des Betriebsgeländes einen erheblichen Sonderaufwand verlangt hat. Dies haben Sie nach allen Kräften bestmöglich umgesetzt und positiv unterstützt. Jetzt ist es aber Zeit für eine Entlastung, insbesondere auch bei administrativen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis. Die immer wieder aufflackernde Diskussion um einen gesetzlichen Anspruch auf Homeoffice ist dabei leider nicht das einzige, sicherlich aber eines der besten Beispiele dafür, wie die Politik die Gestaltung einer modernen Arbeitswelt als Antwort auf die Herausforderungen der sich verändernden Industrie und Geschäftsmodelle letztlich konterkariert. Solche aus parteipolitischen Erwägungen geschürten Wünsche nach einem Anspruch auf Homeoffice sind dazu geeignet, Misstrauen zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten zu säen, die diese Sachverhalte wo immer möglich längst sinnvoll geregelt haben oder auf betrieblicher Ebene regeln können. Auch würde ein solcher Anspruch zu einer Spaltung der Belegschaft führen, da er für bestimmte Beschäftigtengruppen wie z. B. in der Produktion faktisch von vornherein ausgeschlossen wäre. Die daraus resultierenden Unsicherheiten der Unternehmen über mögliche neue administrative und kostentreibende Belastungen treten zu den o. g. Unsicherheiten in den eigentlichen Betätigungsfeldern unserer Unternehmen hinzu – daher gilt es, diese von der Politik verursachten Unsicherheiten strikt zu vermeiden. Nur im Zusammenwirken all dieser Bausteine – einer krisen-gerechten und Zukunft ermöglichenden Tarifpolitik, der Vermeidung weiterer Belastungen, einer sinnvollen staatlichen Unterstützung ohne Aufgabe des Subsidiaritätsgedankens und durch Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge bei 40 % - kann es gelingen, den Strukturwandel erfolgreich zu gestalten.
Bitte machen Sie mit! Zum Beispiel mit eigenen Impulsen u. a. auf unseren Gremiensitzungen und regionalen Tarifrundengesprächen und zeigen Sie uns z. B. an Ihrem Unternehmen passende Beispiele für die Tarifdiskussion auf. Wir stellen Ihnen diese kleine Sammlung von Argumenten zur Verfügung, um Sie in Ihrer Kommunikation mit Ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, Ihrem Betriebsrat sowie in der Öffentlichkeit überall dort zu unterstützen, wo es für die gemeinsame Sache erforderlich ist.
Frankfurt am Main, im Juli 2022